Jens-Fietje Dwars

Zwischen auch und dennoch
Die Grafikerin und Installationskünstlerin Sabine Sauermilch

Wer ihre Arbeiten sieht, der ahnt es schon auf den ersten Blick: diese Frau gehört zu den Stillen im Lande. Wer solch zarte Zeichnungen aufs Papier bringt, Collagen aus Seidenpapier mit feinster Lasur überzieht, die Farben wie einen Hauch aufträgt – wer solch hohe Kunst beherrscht, der schreit es nicht heraus. Vornehm nannte man eine solche Haltung früher, als man sie noch für eine Tugend hielt. Heute gilt als unbeholfen, wer seine Ware nicht auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten anzupreisen versteht. Doch, wie gesagt, Sabine Sauermilch, 1961 in Meiningen geboren, beherrscht ihr Handwerk und wurde dafür u. a. mit einem Stipendium in der Casa Baldi ausgezeichnet. Obwohl "beherrschen" vielleicht doch das falsche Wort ist: Sie herrscht nicht über Farben und Formen, sie lässt sie gleichsam gewähren, gibt ihnen Raum zur Entfaltung, zum Wachsen und Gedeihen, als seien es organische Gebilde, die eher des Schutzes bedürfen statt strenger Planung oder Zucht. Ihr Atelier liegt in einem Erfurter Altbau aus der Gründerzeit, visa-vis die Platten des Juri-Gagarin-Rings. Nein, ein Idyll ist es nicht, das Treppenhaus finster, der Atem der Jahrzehnte haftet wie Ruß an den Wänden. Hinter drei Türen das Reich der Künstlerin: nüchtern, helle weiße Wände, Regale mit IKEA-Boxen, ein großer weißer Tisch wie ein Ver-sprechen, dass hier manches geschehen kann, ohne ein Muss. Offenheit ist die Botschaft des Raumes, auch durch die Fensterfront, die hinaus blicken lässt auf die Straße, den Bahndamm, das Alltagsleben der Stadt.
Erst auf den zweiten Blick sehe ich an der Wand eine Schrift: "dennoch" in gelben Acrylbuch-staben. Auf dem Tisch liegt ein zweites Wort: "auch".
Die stammen aus einer Ausstellung, sagt Sabine Sauermilch, und ich denke, das könnte doch der Titel für ein Gespräch sein: Kunst zwischen "auch" und "dennoch" – Arbeit gegen die Zeit, ohne Aufschrei, ohne sich im Kampf aufzuzehren.

Wie kamen Sie zur Kunst? Haben Sie ein Credo?
Sabine Sauermilch:
...über Umwege... In der DDR, im Sperrgebiet, mit allen daraus resultierenden Einschränkungen aufgewachsen, bekam ich schon bald die äußeren und inneren Grenzen dieses Landes zu spüren, keine Zulassung zum Abitur, Einschränkungen bei der Berufswahl, dann doch noch ein Studium auf Umwegen, heute alles kaum noch vorstellbar. Aus diesem anfänglichen Hürdenlauf wurde immer mehr ein Suchen nach Freiräumen und Alternativen. Gefunden habe ich sie durch bzw. mit der Kunst. Meiner Phantasie waren ja keine Grenzen gesetzt. Ich begann nach dem Studium freiberuflich zu arbeiten, wieder Suchen, Ausloten, immer ein wenig grenzgängerisch, so dazwischen, zwischen auch und dennoch. Trotzdem bin ich dann Künstler geworden, obwohl mir bei der damaligen staatlichen Talentsuche und -förderung in den Schulen der DDR diesbezüglich Unfähigkeit bescheinigt wurde.
Auch - dennoch - trotzdem - obwohl – alles Umstandswörter... Vielleicht entstand aus diesem Umstand heraus, diesem Mangel an Freiraum, meine Vorliebe für das Arbeiten in und mit vorgegebenen Räumen, ihrer Geschichte, ihren jeweiligen Gegebenheiten. Sich jedes mal wieder aufs Neue auf einen Ort einlassen, ihn durch nur kleine Eingriffe markieren, verändern und ihn sich so aneignen, reizt mich sehr und manchmal werden anonyme Orte erst durch diese leisen Interventionen zu wirklichen Räumen.
Dieses sehr zurückgenommene und konzentrierte Arbeiten mit reduzierten Mitteln spiegelt sich nicht nur in meinen Installationen wider, sondern auch in den Zeichnungen. Es ist immer wieder ein Ausloten, eine Gratwanderung. Wo ist die Grenze des Machbaren? Wie spannungsvoll kann eine einzelne Bleistiftlinie auf weißem Papier sein? Wie viel Weiß verträgt sie und wie weit kann ich gehen, sie spannen oder bündeln und so Flächen oder Räume entstehen lassen? Linien auf dem Papier, Linien im Raum...
Eine Installation in einem unterirdischen Gewölbesystem in Gera, fast 100 % Luftfeuchtigkeit, zwischen zwei Höhlergängen, von Wand zu Wand dicht gespannte Fäden und Zeit, Zeit in der die Feuchtigkeit der Luft an den Fäden kondensiert, ein Vorhang aus Wassertropfen bildet sich, der den Weg versperrt und das Durchgehen verhindert. Einfallendes Licht bricht sich in den Tropfen, wird reflektiert. Es entsteht ein Raum, ein Raum davor und dahinter... Zeit, Luft, Wasser, Licht, ein Faden als Linie, an dem sich die Geschichte niederschlägt - am Anfang stand ein Satz von Novalis aus seinen Blütenstaubfragmenten ...der Sitz der Seele ist da, wo sich Innenwelt und Außenwelt berühren. Wo sie sich durchdringen ist er in jedem Punkt der Durchdringung...
Vielleicht ist mit dieser Installation die Absicht meiner Arbeit auf den "Punkt" gebracht.


Eine andere Installation trägt den Namen "hortus conclusus"…
Sabine Sauermilch:
"Hortus conclusus" ist während eines dreiwöchigen Arbeitsaufenthaltes in einem Künstlerhaus in idyllischer Schweizer Berglandschaft entstanden, Davos, der Zauberberg, nur wenige Kilometer entfernt. Das Künstlerhaus war früher einmal Badehaus einer größeren Kuranlage. So ist es auf uns überkommen. Überall in den weitläufigen Räumen noch Relikte dieser Zeit, die die Atmosphäre des Gebäudes auch heute noch bestimmen.
Wer ist durch diese Räume schon gegangen? Wie viele Menschen sind durch die Schweiz gegangen, während der Kriege, als Emigranten? Wie vielen bot das Land Zuflucht, vielleicht sogar Heimat?
Ich formte Fußhüllen aus Seidenpapier. Auf leisen Sohlen, wie auf der Flucht, eilten sie durch das große leere Treppenhaus des Gebäudes. Der Inn, der unmittelbar hinter dem Haus vorbeifließt, lieferte mit seinem Rauschen das Hintergrundgeräusch. Im leeren Fahrstuhlschacht des Treppenhauses ein Mooskissen auf dem vier, mit Schweizer Franken gefüllte Glasherzen liegen und ein Kleeblatt bilden, Glücksklee, die Schweiz - ein hortus conclusus. Es ist schwierig eine Installation verbal zu beschreiben, auch Abbildungen können nur sehr bedingt einen Eindruck vermitteln nicht aber die Atmosphäre solch eines Raumes wiedergeben bzw. die Faszination, die auf den Betrachter übergehen kann. Gerade das macht für mich aber den Reiz dieses Arbeitens aus, das unmittelbare Erleben des Raumes und seiner Veränderung, die Interaktion. Als temporäres Kunstwerk, das auf einen bestimmten Ort bezogen ist, bleibt von solch einer Installation oft "nur" die sinnliche Erfahrung des Wahrnehmens.

Resilienz nennen Sie 23 Kunstharzfiguren – woher kommt das Wort?
Sabine Sauermilch:
Lebende Systeme können innere und äußere Gegebenheiten niemals vollständig beherrschen. Sie müssen daher in der Lage sein, Abweichungen, Fehler auszugleichen. Diese Fähigkeit wird Resilienz genannt und betrifft viele Bereiche unseres Lebens, die Psychologie, die Ökologie aber auch die Wirtschaft. So gebraucht man den Begriff auch im Zusammenhang mit dem Geldhandel. Wie resilient gerade dieser Bereich ist, konnten wir in den letzten Monaten sehen. Mich haben allerdings die Stehaufmännchen meiner Kindheit angeregt, wie sie, einmal aus dem Gleichgewicht gebracht, immer wieder ihren Mittelpunkt finden und auspendeln können, geerdet sind.
Fehler ausgleichen, indem man reagiert, in der Physik nennt man das "stabiles Gleichgewicht", wenn Sie wollen auch ein Bild für leisen Widerstand. Für mich ein Spielzeug nicht nur für Kinder...
Was beschäftigt Sie zur Zeit, gibt es "Projekte" für die Zukunft?
Sabine Sauermilch:
... vor allem das Fehlen von Zeit und Geld für solche Arbeiten. Installationen lassen sich schlecht verkaufen, vor allem in Thüringen und es fehlt oft auch ein Gegenüber, das zu solcher Arbeit herausfordert bzw. ein Podium dafür bietet. Die Galerien- bzw. Kunstlandschaft Thüringens ist zur Zeit nicht gerade gut aufgestellt.
Neben Ausstellungsbeteiligungen hoffe ich in diesem Jahr wieder einmal Zeit für ein "Malerbuch" zu finden. Vor einigen Jahren sind einige solcher Unikate entstanden, zuletzt dann ein Buch in Zusammenarbeit mit der burgart-presse Rudolstadt - Augenlidersingen - mit Siebdrucken, Prägungen und Laserschnitten.
"Nicht das bereits Sichtbare kommt hier eigentlich zur Anschauung, sondern Unsichtbares wird sichtbar gemacht - ein bekanntes Motto der Moderne findet in diesen Arbeiten seine Bestätigung.
Wie in den Zeichnungen die innere Natur, die feinen Schwingungen und Spannungen der Künstlerin intuitiv und beinahe im Selbstlauf ihren Niederschlag finden, ähnelt der Arbeit von Seismographen, und wir schauen auf diese konzentrierten Mitteilungen geistiger und emotionaler Bewegung wie auf ein Seismogramm, das uns unerwartet die Erschütterungen von Gesteinsschichten tief unter den friedlichen Höhen und Tälern der äußeren Natur zu Bewusstsein bringt."

Kai Uwe Schierz, in: sabine-cornelia sauermilch; hemisphären, Ausstellungskatalog, 1999